Heavy Metal Kingdom

Peter «Biff» Byford steht am 31.07.2014 beim «Wacken Open Air» Festival in Wacken (Schleswig-Holstein) mit seiner Band «Saxon» auf der Bühne. Foto: Daniel Reinhardt/dpa
Peter «Biff» Byford steht am 31.07.2014 beim «Wacken Open Air» Festival in Wacken (Schleswig-Holstein) mit seiner Band «Saxon» auf der Bühne. Foto: Daniel Reinhardt/dpa

LONDON: Am Ende der 1970er-Jahre stand die Welt der Rockmusik am Scheideweg. Die etablierten britischen Rockgiganten Led Zeppelin, Black Sabbath oder Deep Purple befanden sich in der Krise oder hatten sich aufgelöst. Die Punkszene rückte in den Fokus. Doch in den Hinterzimmern und Kellerräumen Englands wuchs eine neue Bewegung heran, die bald als New Wave Of British Heavy Metal (NWOBHM) bekannt wurde und Bands wie Iron Maiden, Def Leppard oder Saxon hervorbrachte. Die Doku «Heavy Metal Kingdom - Wie britische Bands den Rock aufmischten» auf Arte blickt am späten Freitagabend (23.45 Uhr) zurück auf diese kulturelle Revolution auf der Insel.

«Ohne diese Bewegung sähe die Welt des Hardrock ganz anders aus», ist sich der Rockjournalist Phil Alexander (Kerrang!, Mojo) sicher. Auch Schlagzeuger Lars Ulrich von Metallica betont, wie sehr seine Band von den britischen Wegbereitern geprägt wurde. Regisseurin Sophie Peyrard hat viele Genrevertreter und Zeitzeugen interviewt, darunter Biff Byford (Saxon), Kim McAuliffe (Girlschool), Brian Tatler (Diamond Head) und den ehemaligen Iron-Maiden-Sänger Paul DiAnno, der auf den ersten beiden Alben der Band sang und dann von Bruce Dickinson ersetzt wurde.

Die jungen Rocker hatten es anfangs nicht leicht sich durchzusetzen. Im Radio wurde ihre Musik kaum gespielt. Auftritte zu bekommen, war eine Herausforderung, weil viele Pub-Besitzer die aus ihrer Sicht «langhaarigen Motorrad fahrenden Penner» nicht bei sich auftreten lassen wollten. Für viele begann die Live-Karriere mit Konzerten in Hinterzimmern.

Auch dank des Rock-DJs Neal Kay, der eigene Heavy-Metal-Parties und schließlich Konzerte veranstaltete, entstand eine Szene. Deren Mitglieder waren an Jeans-Kutten, Lederkluft, Aufnähern mit Bandlogos und langen Haaren erkennbar. Die Band Saxon thematisierte das in ihrer Hymne «Denim And Leather». Schließlich gab es das erste große Hardrock-Festival mit dem Namen «Monsters Of Rock». Tausende Festival-Besucher, nicht nur aus Großbritannien, strömten ins englische Donington.

Peyrard zeigt in «Heavy Metal Kingdom», wie unterschiedlich die Karrieren der NWOBHM-Bands verliefen. Iron Maiden aus London wurden mit ihrem neuen Frontmann Dickinson und dem Album «The Number Of The Beast» zu einer der populärsten Gruppen. Def Leppard aus Sheffield avancierten mit einem radio-freundlicheren Sound und dem Album «Pyromania» in den USA zu Superstars. Bands wie den Tygers Of Pan Tang, Tank oder Praying Mantis war der große internationale Erfolg nicht vergönnt.

Tragisch erging es Diamond Head. Während ihre Kollegen lukrative Verträge unterschrieben, fand die Kultgruppe trotz treuer Fangemeinde lange kein Label. Als sie endlich eins hatten, versuchten sie es auf Geheiß der Plattenbosse mit einem softeren Sound und floppten. Daraufhin lösten sich Diamond Head auf und gaben erst Jahre später ein Comeback.

Viele scheiterten mit dem von Plattenfirmen getriebenen Plan, sich dem US-Markt anzubiedern. Mitte der 80er übernahm die hedonistische, sogenannte Hair-Metal-Szene aus Los Angeles mit Vertretern wie Mötley Crüe oder Ratt die Vormachtstellung. Doch als Gegenentwurf dazu entstand eine neue Bewegung von härteren Thrash-Metal-Bands wie Metallica, Slayer oder Megadeth, die maßgeblich von der NWOBHM beeinflusst wurden.

Für Diamond Head gab es in gewisser Weise ein Happy End. Denn einer ihrer treuesten Fans war und ist Lars Ulrich. «Ich würde wahrscheinlich nicht hier sitzen und von euch interviewt werden, hätte es Diamond Head nicht gegeben», sagt der Metallica-Drummer. Bereits als 17-Jähriger war der gebürtige Däne aus seiner neuen Heimat Los Angeles nach England gereist, nur um seine Idole zu live sehen. «Wir waren echt beeindruckt», erinnert sich Brian Tatler von Diamond Head, der den Teenager eine Woche bei sich wohnen ließ. Daraus entstand eine Freundschaft fürs Leben.

Metallica coverten später Songs von Diamond Head und bescherten den Briten damit einen Geldregen. «Ich musste nicht mehr arbeiten gehen», erzählt Tatler. «Meine Haupteinnahme-Quelle sind die Tantiemen, die ich seit 30 Jahren von Metallica erhalte. Die waren echt ein Geschenk des Himmels.» Der Gitarrist arbeitet trotzdem weiter. Diamond Head sind seit 2000 wieder aktiv. Obendrein stieg Tatler kürzlich als Gitarrist bei Saxon ein.

Dass die erfolgreichsten Emporkömmlinge der New Wave Of British Heavy Metal, Iron Maiden und Def Leppard, in «Heavy Metal Kingdom» nicht in aktuellen Interviews zu Wort kommen, ist nur ein kleines Manko. Dank der leidenschaftlichen Erzählungen von Ulrich und der Anekdoten von Tatler, Byford und Co. sowie vieler Archivaufnahmen zeichnet Sophie Peyrards unterhaltsamer Film ein faszinierendes Bild von einer spannenden Ära der Musikgeschichte. Die Länge von einer Stunde ist eigentlich zu kurz.

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