«Beunruhigender Trend» politischer Morde

​Wahlkampf  

Foto: Freepik
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SALDANHA BAY: Erstmals muss in Südafrika die Befreiungspartei ANC um die absolute Mehrheit bangen. Der Wahlkampf ist angespannt wie nie, auch aus einem anderen Grund.

Dreimal versuchten Attentäter, Arthur Gqeba zu töten. Zweimal kam der Gemeindevorsteher in der Kleinstadt Saldanha Bay, zwei Autostunden nördlich der Touristenmetropole Kapstadt, mit dem Leben davon, einmal schwer verletzt mit 13 Kugeln im Körper. Doch den dritten Anschlag vergangenen September überlebte der 39-Jährige nicht. Als er sein Auto abends nach einer Gemeinderatssitzung in seiner Einfahrt parkte, wurde er abgepasst. Vor den Augen seiner Frau wurde der Vater von sechs Kindern mit fünf Schüssen getötet. Die Polizei leitete eine Untersuchung wegen versuchten Mordes ein. Sechs Monate später gibt es noch keine Spur.

Gqeba hatte keinen einflussreichen Posten. Er war ein Lokalpolitiker, beliebt und unverblümt, der in seiner Gemeinde etwas bewegen wollte. Gqeba forderte Untersuchungen, wenn er Korruption vermutete, setzte sich für die gerechte Verteilung staatlicher Mittel ein, kämpfte gegen Vetternwirtschaft. «Deshalb war er für viele ein Dorn im Auge», sagt sein Onkel Vivid Mgoqi über den Lokalpolitiker von der Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC). «Arthur hat mehrfach Morddrohungen erhalten.» Gqebas Witwe Ntombekhaya Gqeba erzählt von einem Gemeinderat aus der Nachbarschaft, der kriminellen Netzwerken das Handwerk legen wollte und vor wenigen Monaten ebenfalls erschossen wurde. «Es gab viel politischen Neid, weil der Mann angesehen war und Nägel mit Köpfen machen wollte.»

Hunderte von politischen Morden

Politische Morde sind keine Seltenheit in Südafrika, dem 61-Millionen-Einwohner-Land am Südzipfel Afrikas, das der ehemalige Präsident, Freiheitskämpfer und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela vor 30 Jahren von der rassistischen Apartheid, während der eine weiße Minderheit die schwarze Mehrheit unterdrückte, in die Demokratie führte. Allein in den vergangenen fünf Jahren soll es nach Angaben von Präsident Cyril Ramaphosa Hunderte Auftragsmorde an Politikern gegeben haben. Es gebe einen «zutiefst beunruhigenden Trend von Angriffen», sagte Ramaphosa.

Laut einem Bericht der Global Initiative Against Transnational Organized Crime handelt es sich dabei um ein etabliertes kriminelles Netzwerk. Ein Auftragsmord kostet demnach, je nach Ranghöhe des Politikers, zwischen 150 Euro und 15.000 Euro. Ein «erheblicher Anteil aller gezielten Tötungen» in Südafrika sei politisch motiviert, heißt es in dem Bericht. Auftragsmorde ermöglichten korrupten Politikern oder Unternehmern, politische Rivalen auszuschalten, erklärt Kim Thomas, Analystin bei der Global Initiative. Einige Politiker würden ermordet, weil sie korrupt seien, andere, weil sie Korruption bekämpften, so Thomas.

«Es kommt zur Kollusion zwischen Politikern, Beamten und kriminellen Unternehmern, die sich am Staat bereichern wollen und dafür bereit sind, ehrliche Politiker auszuschalten», erklärt Karam Singh, der Direktor der südafrikanischen Organisation Corruption Watch. In Südafrika gehe es in der Politik oft nicht darum, das Beste für die Gesellschaft erreichen zu wollen, sagt auch Lizette Lancaster vom südafrikanischen Institut für Sicherheitsstudien. Viele Leute stiegen aus rein finanziellen Gründen in die Politik ein, um sich selbst und Geschäftspartnern Zugang zu lukrativen öffentlichen Ausschreibungen sichern. «Natürlich ist das illegal, aber öffentliche Mittel werden von vielen Politikern als Möglichkeit zur Selbstbereicherung angesehen», erklärt Lancaster.

Auch der Südafrikanische Verband für Kommunalverwaltung (Salga) beklagt den zunehmenden Trend politischer Morde. Quer durchs Land würden öffentliche Vertreter und Beamte bedroht, eingeschüchtert, angegriffen und getötet; ihre Häuser und Fahrzeuge würden niedergebrannt, sagt Salga-Sprecher Sandiswa Pholo. So gut wie jede Woche gebe es einen neuen Fall. Besonders betroffen seien die Provinzen Westkap ? in der Saldanha Bay liegt ? und KwaZulu-Natal im Südosten des Landes. Daher sei es kein Wunder, dass immer weniger kompetente Südafrikaner bereit seien, sich zur Wahl zu stellen. Pholo bezeichnet die Auftragsmorde daher als «direkten Angriff auf unsere hart erkämpfte Demokratie».

Entscheidende Wahl am 29. Mai

Am 29. Mai stehen die Parlamentswahlen an, bei denen Südafrika indirekt einen Präsidenten wählt. Auch die Regierungen in den neun Provinzen Südafrikas werden neu aufgestellt. Noch nie seit Ende der Apartheid 1994 stand es um die frühere Freiheitsbewegung und heutige Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) so schlecht. Umfragen zufolge könnte der ANC erstmals auf weniger als 50 Prozent der Stimmen kommen, damit seine absolute Mehrheit verlieren und erstmals eine Koalitionsregierung eingehen müssen.

Nach 30 Jahren ANC-Regierung ist die Frustration unter Südafrikanern spürbar. Von der Regenbogennation, die Mandela 1994 mit der Vision eines Rechtsstaats mit Chancengleichheit als Grundlage einer inklusiven Gesellschaft gründete, ist nicht mehr viel übrig. Korruption und Vetternwirtschaft haben den Staat systematisch ausgehöhlt, staatliche Unternehmen sind bankrott, der Dienstleistungssektor ist nur bedingt funktionsfähig und die Wirtschaft strauchelt, während Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Spannungen steigen.

Gespräche über Kriminalität sind in Südafrika so häufig wie in anderen Ländern Unterhaltungen über das Wetter. Die Polizeistatistiken zu Diebstählen, Einbrüchen und Gewaltverbrechen sind angsteinflößend. Allein zwischen Anfang Oktober und Ende Dezember 2023 sind in Südafrika demnach mehr als 7700 Menschen vorsätzlich getötet worden ? doch nur 42 Mörder wurden im gleichen Zeitraum verurteilt.

Die ungesunde Kombination aus extrem hoher Kriminalität, niedriger Verurteilungsrate sowie einem mangelhaften Justizsystem habe zu einer «Rechtlosigkeit» innerhalb Südafrikas geführt, sagt der politische Analyst Collins Mweke. Verbrecher müssten kaum Konsequenzen fürchten. Allein seit Januar sind Polizeiangaben zufolge zehn Lokalpolitiker erschossen worden. Vuyolwethu Zungula, der Vorsitzende der Oppositionspartei African Transformation Movement (ATM), bezeichnet die Zahlen als «Krise und äußerst beunruhigenden Trend».

Selbst Polizeiminister Bheki Cele, dessen Ministerium jedes Quartal steigende Kriminalitätsraten verzeichnen muss, spricht offen über das Phänomen politischer Auftragsmorde: «Bei den Angriffen handelt es sich um eine Mischung aus politischer Intoleranz, der Ausschaltung von Konkurrenten und in manchen Fällen purer Geldgier.» Wenige Wochen vor dem Wahltag will Cele für die Erfolge einer Spezialeinheit werben, die er vor einigen Jahren geschaffen hat. Allein in der Provinz KwaZulu-Natal, aus der Cele stammt, seien bereits 360 Verdächtige verhaftet und 65 Täter verurteilt worden, so der Minister. Auch in anderen Provinzen seien Spezialeinheiten gegründet worden.

Drohungen, Erpressung und Anschläge

Doch Lokalpolitiker schreiben Celes Erklärungen als Wahlkampf-Gaukelei ab. Wer ein politisches Amt übernähme, müsse mit Drohungen, Erpressungsversuchen oder Gewalt rechnen, sagt Liwani Siyabulela, der Fraktionsvorsitzende des ANC im Gemeinderat von Saldanha Bay. «Wenn du hier in Südafrika in die Politik gehst, muss dir klar sein, dass du dich in Gefahr begibst», meint Siyabulela. «Sobald du eine Position hast, die dir Zugang zu finanziellen Mitteln gibt, wirst du zur Zielscheibe.»

Auch dem Bürgermeister von Saldanha Bay, André Truter, der der Oppositionspartei Demokratische Allianz (DA) angehört, ist Gewalt nicht fremd. «Mein Amtsantritt vor drei Jahren begann mit einer Morddrohung», erzählt er. Die Polizei habe ihm nahegelegt, sich Bodyguards zuzulegen. Truter, ein ehemaliger Polizist, wollte sich aber nicht einschüchtern lassen und lehnte ab. Dass er das Thema Sicherheit trotzdem ernst nimmt, ist jedoch offensichtlich.

Eintritt zu Truters Bürogebäude erhält man durch eine doppelte Sicherheitsschleuse. Über seinem Schreibtisch hängt ein großer Bildschirm, der Truter den steten Blick auf 16 Überwachungskameras gewährt. Jedes Mitglied in seinem Stadtrat wurde mit einem Panikknopf mit GPS-Ortung ausgestattet, der Signale direkt an die Polizei sendet. Man müsse auf alles vorbereitet sein, meint Truter: «Die würden dich sogar in der Kirche erschießen.»

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